Warum Aktienprofis so oft schief liegen
Alle Welt hört auf Bankanalysten. Dabei ist es ein offenes Geheimnis, daß die Gurus der Finanzszene ziemlich oft schief liegen. Es gibt auch wissenschaftliche Untersuchungen, daß, je
mehr Experten zum Kauf einer Aktie raten, Vorsicht angesagt ist. Bestes Beispiel Bayer, hier wimmelt es immer noch von positiven Kaufempfehlungen, während hier schon längst Vorsicht
angesagt ist. Warum, um alles in der Welt ist das so?
Der Sache auf den Grund zu gehen, ist so einfach nicht. Aber lohnenswert. Zunächst einmal gilt es festzuhalten, daß die Leute, die sich mit Aktienprognosen befassen, nicht einfach doof sind,
sondern in der Regel in Finanzdingen bestens ausgebildete Menschen. Gender, Gender über alles. Die Gesellschaft ist so was von sensibilisiert, das geht auf keine Kuhhaut.
Es liegt möglicherweise am Untersuchungsgegenstand.
Vielleicht ist das Objekt der Begierde, die Aktie, also genauer deren Kurs, gar nicht prognostizierbar. Darauf deutet auch hin, daß die Art und Weise, wie sich die Branche dem Kurs einer Aktie nähert, höchst unterschiedlich ist. Die einen versuchen es mit der Fundamentalanalyse (Bilanzdaten auswerten) und die anderen stehen auf die Auswertung von Kursverläufen (Chartisten), vereinzelte setzen auf Astrologie (vermutlich schlecht). Es gibt ja auch den berühmten Versuch mit den Affen. Die durften mit Pfeilen auf Zettel schießen, auf denen die Namen von Aktien standen und am Ende waren sie erfolgreicher als die Profis.
Es liegt möglicherweise an den Leuten.
Wer wird überhaupt Aktienprofi? Ich denke, diesen Beruf ergreifen eher welche, die ein gerüttelt Maß an Größenwahn mit sich führen, dem das Scheitern eben nun mal innewohnt. Dabei wären eher andere Charaktereigenschaften gefragt: Bescheidenheit, Demut, Einsichtsfähigkeit. Ich bin ja selber Mitglied des Analystenberufsverbandes und erlebe oft genug die Arroganz und Ignoranz mancher Kollegen. Und auch noch schnell beleidigt. Wenn´s denn schief geht, verstecken sich die Herren gerne im Schwarm. Siehe Bayer.
Es liegt möglicherweise am Arbeitsumfeld der Profis.
Bank, Kontrolle, Hierarchie, Einhegung der Phantasie. Diese Stichworte sind mir beim Nachdenken zum Thema Arbeitsumfeld der Profis in den Sinn gekommen. In der Tat ist es so, daß ausgerechnet ein Haus wie eine Bank, in dem es von Kontrolle nur so wimmelt, wo das Vieraugenprinzip gilt, der schlechteste Nährboden für kreatives Arbeiten ist, den man sich so vorstellen kann. Jede Anlageentscheidung muß durch einen Ausschuß gleichen Namens. Jede Fehlentscheidung bedeutet mindestens hochgezogene Augenbrauen beim Chef, später droht Schlimmeres. Da ist es doch besser, sich meinungsmäßig konform zu zeigen. Wiederum siehe Bayer.
Gerne erzähle ich ihnen hierzu eine meiner Meinung auch heute immer noch mögliche Geschichte. Sie liegt allerdings schon mehr als ein Vierteljahrhundert zurück. Damals gab es noch die Bank für Gemeinwirtschaft (BfG) und die hatten einen begnadeten Aktienspezialisten, von dem ich viel gelernt habe. Der ging morgens in den Park, bohrte sich in der Nase, dachte dabei ein oder zwei Stunden nach, kam ins Büro, hatte eine Aktie auf dem Zettel oder zwei und die performten, daß es eine wahre Freude war. Die Kollegen, die derweil in Großraumbüros ihr Dasein fristeten, moserten solange, bis mein damaliger Freund nicht mehr in den Park während der Arbeitszeit durfte. Ergebnis: Aus und vorbei mit den genialen Anlageideen.
Dabei kommt es gerade in dem Geschäft darauf an, gegen den Strom zu schwimmen und Trends frühzeitig zu erkennen. In aller Bescheidenheit: Schon 2008 habe ich die mögliche Pleite
von Airberlin beschrieben (gut, das hat gedauert) und vor einem Jahr Wirecard noch zu Kursen um 60 Euro in meine Börsebius TopTen Masterliste aufgenommen (und denke aber nun intensiv
darüber nach, ob bei Wirecard die Messe langsam gelesen ist).
Ich trauere immer noch den Zeiten nach, als Kontraindikatoren noch funktionierten. Wenn die Deutsche Bank einen Wert zum Kauf empfahl, konnte man sich fast schon blind darauf
verlassen, daß der Titel bald fiel. Das ist aber mittlerweile bestimmt auch schon 20 Jahre her. Früher war halt alles besser. Da wußte man, auf wen man sich nicht verlassen konnte.
Bleiben Sie mir gewogen, ich bin es auch.
Über Anregungen für Themenvorschläge freue ich mich sehr.
Stets, Ihr
Reinhold Rombach
„Börsebius“